Camposanto (dt. »heiliges Feld«): der Stadtgottesacker in Halle blickt auf eine
Jahrhunderte alte Tradition und ist besser erhalten als jeder andere Camposanto in Deutschland
Die heutige Friedhofsfläche wurde bereits ab dem 14. Jahrhundert für Begräbnisse genutzt,
damals für die Opfer von Pestseuchen. Im 16. Jahrhundert wurde dieser Ort eingefriedet und
um 1530 offiziell als Friedhof eröffnet.
Ende der 1550er Jahre gestaltete der bedeutende Bildhauer und Baumeister der mitteldeutschen Renaissance, Nickel Hoffmann (1536-1592) die bereits als Friedhof genutzte Fläche um:
Die Einfriedung wurde baulich auf allen vier Seiten ergänzt um die für einen »Camposanto« charakteristische Arkaden- Architektur mit geschützten Grabnischen unter Schwibbögen für
die Privilegierten der Stadt.
Blick auf das Mittelfeld, das sowohl traditionelle Erdbestattungen als auch Urnen-
bestattungen vorsah: bis heute sind Urnenbeisetzungen in begrenztem Umfang
im Mittelfeld möglich, allerdings ohne Grabzeichen
Im Hintergrund befinden sich die Arkaden, die nicht als Begräbnisplatz dienen,
unter anderem auch die Trauerkapelle
Die 94 großzügig bemessenen Arkaden sind nur an einer Seite offen und oftmals
sind sie an dieser Seite zusätzlich durch ein (Eisen-) Gitter gesichert.
Man kann also nicht unter den Arkadenbögen wandern, anders als beispielsweise
in der Klassizistischen Gruftenhalle (1-57) auf dem Hauptfriedhof in Frankfurt/Main.
Die Trauerkapelle ist in die Arkadenbogen-Architektur integriert
Auf allen vier Seiten umschließen die Arkaden den Friedhof
Die Friedhofsarchitektur stammt aus Italien, zum Inbegriff dieses Friedhoftyps wurde der Camposanto in Pisa, der in den 1280er Jahren errichtet wurde.
Ein Camposanto ist eine von monumentalen Mauern eingefriedete, hofähnliche Anlage.
In Deutschland wurde das Konzept des Camposanto ab dem Spätmittelalter immer wieder aufgegriffen, als sich allmählich eine Trennung von Kirchhof und Friedhof durchsetzte.
Kaum eine dieser Camposanto-Anlagen ist heute noch in sehenswertem Zustand, die
meisten existieren allenfalls noch rudimentär. Auch dem Stadtgottesacker sind die Spuren
der Zeit anzusehen, gleichwohl handelt es sich um ein einzigartiges Zeugnis frühneuzeitlicher Friedhofsarchitektur.
Urnen-Gemeinschaftsgrabstätte
Seit 2001 sind Urnenbegräbnisse auf dem Stadtgottesacker Halle wieder möglich, sowohl
im Grabfeld (begrenzte Anzahl, ohne Grabzeichen), als auch in rund 10 Schwibbögen, die
inzwischen als Urnennischen genutzt werden.
Für vorhandene Grabstätten, auch wenn sie unter Denkmalschutz stehen, können Nachkommen
die Nutzungsrechte erneuern.
Die Nutzungsrechte für Grabbögen und Grabstätten von Persönlichkeiten, die sich um die Stadtgeschichte Halles verdient gemacht haben, werden hingegen nicht mehr neu vergeben.
Die Eröffnung des Vorläufer-Friedhofs um 1530 fiel in eine autokratisch regierte Epoche, die
ganz unter dem Zeichen der Herrschaft von Erzbischof und Kurfürst Albrecht von Brandenburg
(1490-1545) stand.
Als einer der mächtigsten deutschen Landesherren, verwendete er ein großes Vermögen für städtebauliche Maßnahmen. Es schwebte ihm vor, Halle mit dem Geld, das er seinen Untertanen abpresste oder durch Schuldaufnahme erlangte, zu einer prunkvollen Residenzstadt auszubauen.
Mit seiner strikten Ablehnung der reformatorischen Bewegung, erkannte Albrecht
von Brandenburg die Zeichen der Zeit allerdings nicht: das Hallesche Bürgertum begegnete
seiner Verschwendungssucht, trotz des erheblichen Drucks mit Skepsis.
Aufstände und Streiks zeigten, dass auch die Allmacht des wahrscheinlich zweitmächtigsten
Mannes nach dem Deutschen Kaiser ihre Grenzen hatte.
Völlig überschuldet musste er die Herrschaft schließlich seinem Vetter Johann Albrecht (1499-1550) überlassen. Auch dieser war ein entschiedener Gegner der Reformation, konnte sie aber nicht mehr verhindern.
1541 hielt Justus Jonas, ein Mitarbeiter Martin Luthers in der Marktkirche zu Halle erstmals eine evangelische Predigt.
Grabbogen für Christian Thomasius (1655-1728)
Einige der Arkadengräber stammen aus einer anderen Epoche. Sie beheimaten
Menschen des 17. Jahrhunderts, die sich um die Stadt Halle verdient gemacht haben.
T. hielt ab 1687 als einer der ersten Professoren Vorlesungen in deutscher Sprache an
der Universität Leipzig.
Er gilt als Wegbereiter der Aufklärung in Deutschland und als ein wichtiger Vertreter der Naturrechtsphilosophie. Er trat entschieden für religiöse Toleranz und eine Humanisierung
von Strafprozessen ein und kämpfte erfolgreich gegen Folter und Hexenverbrennung.
Den Glauben zu leben und zu praktizieren, bedeutete für F. »sich nicht mit den gegenwärtigen [katastrophalen] Verhältnissen abzufinden und etwas für den Nächsten, und somit auch etwas
für die Allgemeinheit zu tun«.
Die Armut der Menschen war infolge des Dreißigjährigen Kriegs unbeschreiblich.
Sein Anspruch, die Verhältnisse zu verbessern, trieben ihn an, mit rund vier Talern Spende aus
seiner Pfarrtätigkeit, eine Armenschule zu gründen. Später eröffnete er zudem ein Waisenhaus,
ein Internat, eine Gelehrtenschule und das allererste Lehrerseminar überhaupt in Deutschland.
Seine weithin bekannten, 1698 gegründeten Franckeschen Stiftungen standen für eine strenge (heute umstrittene) Erziehung.
Die Innenarchitektur von kunstvoll gestalteten Arkadengruften